Liebe Freundinnen des Me Made Mittwochs,
wir, die Me Made Mittwoch Crew, sind stolz darauf, was für eine große und wertvolle Veranstaltung wir wöchentlich gemeinsam mit Euch auf die Beine stellen. Wir sind nicht nur stolz darauf, wie regelmäßig eine große Gruppe an Me Made-Selbermacherinnen immer wieder dieses Event bereichert, sondern freuen uns auch sehr darüber, wirklich jede Woche mehr als eine Handvoll neue Teilnehmerinnen begrüßen zu können. Wie schön ist das denn?!
Eine quantitative Analyse, wie viele Teilnehmerinnen wir insgesamt bisher hatten oder wie viel Prozent Neu-Einsteigerinnen etc. haben wir nicht gemacht, aber wir begleiten den MMM mit qualitativem Interesse. Wir machen uns Gedanken darüber, was diese Aktion für die vielen Einzelnen aber auch für das große Ganze bedeutet. In diesem Sinne hatten wir euch im Januar um Feedback gebeten und uns sehr über Eure Antworten gefreut, zeigten sie uns doch, dass mit dem MMM offenbar etwas Besonderes für viele von Euch entstanden ist.
Daraus entstand ein Vortrags-Entwurf für die re:publica, die größte deutsche Internet-Konferenz, die diese Woche in Berlin stattgefunden hat. Wir waren der Meinung, die große und vielfältige Szene der DIY Blogs darf bei einer solchen Veranstaltung nicht fehlen - schließlich fragt doch alle Welt nach den bloggenden Frauen: Wo sind sie denn? Haben sie nur Katzen, Kinder und Kuchen im Kopf? Haben sie überhaupt Relevantens beizutragen, die Nähmuttis? Wir wollten zeigen, dass wir da sind, dass wir viele sind und dass es bei uns nichts zu belächeln, aber viel zu lernen gibt – leider wurde unser Beitrag abgelehnt.
Da wir unsere Gedanken über den MMM gerne mit Euch und mit Anderen teilen wollen, sollen sie nicht in der digitalen Schublade verschwinden. Hier sind sie. Wir sind sehr gespannt, was ihr dazu sagt.
<3!
die MMM-Crew
Wo sind eigentlich die Frauen? DIY-Blogs, der Me Made Mittwoch und die unsichtbare Macht im Internet
Während Blogs angeblich gegenüber Facebook und Microblogging aus der Mode kommen, hat sich im Bereich der Do-It-Yourself-Blogs (DIY-Blogs) eine große, eng vernetzte, differenzierte, von Frauen dominierte Szene entwickelt, die mit enormen Zugriffszahlen aufwartet.
Von der größeren Netzöffentlichkeit weitgehend unbeachtet, geht es bei Gemeinschaftsaktionen von Selbermacherinnen wie dem Me Made Mittwoch längst nicht mehr nur um die Sammlung und den Austausch themenspezifischen Wissens. Mit ähnlicher Intention wie
#609060 bei Twitter, einer von der Bloggerin
Journelle ins Leben gerufenen Bildersammlung von Alltagskleidung, aber früher und radikaler als das Mem, setzt der MMM als größte und bekannteste Vernetzungsaktion der DIY-Bloggerinnen-Szene den Zuschreibungen, wie Frauen auszusehen haben, Woche für Woche hundertfach eigene Bilder entgegen.
Verborgen im Netz? Frauen bloggen und zwar eine ganze Menge!
Das Selbermachen wurde von den etablierten Medien und der Wirtschaft in den letzten Jahren als Trend erkannt: Stricken und Nähen gelten wieder als schick, als coole Freizeitbeschäftigung für urbane Menschen. Designer großer Kollektionen nehmen Inspirationen aus der DIY-Welt auf und „habe ich selbstgemacht“ ist in den letzten Jahren zum Prädikat geworden. DIY-Blogs stellen einen Motor dieses neuen öffentlichen Interesses an Handarbeiten dar. Was den Weg in die Presse, ins Fernsehen oder in die Läden findet, hat zumeist im Internet seinen Anfang genommen. Blogs sind das Medium, mit dem die deutschsprachige DIY-Szene vorrangig kommuniziert, und die meisten dieser Blogs werden von Frauen geführt.
Die Szene der DIY-Blogs ist in sich stark ausdifferenziert: Neben Blogs, die konkretes Know-How weitergeben und in Tutorials und Anleitungen technisches Wissen vermitteln, tritt das Blog als Marketinginstrument oder Portfolio auf, in dem für das eigene Kleinstunternehmen bei Dawanda oder etsy geworben wird. Neben Blogs, die mit dem klaren Ziel geführt werden, Einkommen über Anzeigenwerbung zu generieren, gibt es eine Vielzahl privater Blogs, denen es vorrangig um Selbstreflexion und Austausch von Wissen und Erfahrungen geht.
DIY-Blogs sind gut vernetzt und arbeiten mit der Währung Anerkennung. Kommentare und Verlinkungen produzieren ein gutes Gefühl und sind oft der „Lohn für die Arbeit“. Lernen, miteinander und voneinander, steht im Vordergrund. Vertrauen und Wohlwollen sind der Kitt, der die vernetzte Gemeinschaft zusammenhält. Es geht um Unterstützung, Stärkung und Empowerment - dezidiert auch in Abgrenzung zum herrschenden Modediktat und der damit einhergehenden Normierung weiblicher Körper. Die Weitergabe von Wissen ersetzt dabei die zum großen Teil verloren gegangene Übermittlung von Wissen und Erfahrungen von Generation zu Generation. Link-Sammel-Aktionen verbinden die Teilnehmerinnen sowie das in den Blogs gesammelte Wissen zu einem großen Ganzen und schaffen zugleich etwas Neues.
Wir produzieren Content, Dinge und unser eigenes Frauenbild
Näh- und Strickbloggerinnen sind in mehrfacher Hinsicht Produzentinnen: nicht nur als Blogautorinnen und als Herstellerinnen konkreter Objekte, sondern auch als Produzentinnen ihres eigenen Selbstbildes.
Kleidung als die äußere, sichtbare Hülle der Person, die zu einem großen Teil bestimmt, wie die Person wahrgenommen wird, ist ein Mittel des Selbstausdrucks. Durch das Herstellen der eigenen Kleidung nach eigener Vorstellung, unabhängig von Modediktaten und dem Angebot in den Läden, wird das Selbstbild aktiv gestaltet. Anders als herkömmliche Modeblogs, die sich häufig an einer Imitation der von Frauenzeitschriften und Bekleidungsindustrie vorgeprägten Muster und Posen versuchen, schaffen sich Näh- und Strickblogs ihr eigenes Bezugssystem und ihr eigenes Bilderarsenal. Diese Blogs sind von Hypes und Moden nicht frei, sie entstehen aber im Zuge der Vernetzung „von unten“, aus der Bewegung selbst und lassen sich nur bedingt steuern.
Der Me Made Mittwoch - „Ihr seid doch alle Individuen!“
Der Me Made Mittwoch (MMM), eine wöchentlich stattfindende Blogaktion mit jeweils ca. 150 aktiven Teilnehmerinnen und zehntausenden BesucherInnen, ist der sichtbare Ausdruck dieses Netzwerks, das eine beträchtliche Ausstrahlung entfaltet und Woche für Woche neue Teilnehmerinnen und BesucherInnen anzieht.
- ca. 70.000 Seitenaufrufe im Monat
- durchschnittlich 8000-10.000 Seitenaufrufe jeden Mittwoch
- ca. 520.000 Seitenaufrufe seit Beginn des Me Made Mittwoch-Blogs am 27.08.2012
- den Me Made Mittwoch gibt es seit März 2010, bis August 2012 organisiert von allures-und-couture.blogspot.de
Die Teilnehmerinnen des MMM präsentieren selbst gemachte Kleidung an sich selbst, tauschen sich über Herstellungs- und Entscheidungsprozesse aus, stellen Optionen zu Diskussion, erfahren gegenseitige Bestärkung und Beachtung. Durch das Präsentieren der selbstgemachten Kleidungsstücke am eigenen Körper, stellt sich die „Produzentin“ selbst in den Kontext mit dem Werk und damit in den Vordergrund. Passung bezieht sich nicht nur auf die Passform des Kleidungsstücks und das handwerkliche Geschick, das dazu eingesetzt wurde, sondern bezieht sich auch auf das Aussehen, das Alter sowie die Lebensumstände der Frau. „Echte Menschen“ haben weit höhere Ansprüche an schöne, passende und praktische Kleider als Schaufensterpuppen und Models – selbstgemachte Kleidung ermöglicht es den Frauen, den Spagat zwischen verschiedenen Lebenssituationen zu meistern, selbst zu definieren, was für sie adäquat ist und das eigene, innere Bild und das Äußere zur Deckung zu bringen.
Die Teilnehmerinnen werden in dieser gemeinschaftlichen Suche nach Lösungen zu Autorinnen, Näh- und Strickexpertinnen, Fotografinnen, Stilratgeberinnen und erfahren sich selbst als kompetente Persönlichkeiten. Das Beispiel anderer Selbernäherinnen regt dazu an, die eigenen Möglichkeiten und das eigene Bild zu überdenken, andere Handlungsoptionen kennenzulernen und auszuprobieren.
Häufig wirkt die Vernetzung über den Me made Mittwoch als Initialzündung für Veränderungen in konkreten Lebensbereichen: Neben zahlreicheren kleineren virtuellen Zirkeln entstehen reale Zusammenkünfte. Die Auseinandersetzung mit den Herstellungsprozessen von Kleidung sensibilisiert für die Bedingungen und Folgen von Massenproduktion und -Konsum.
Einfach machen! Eine Bewegung ohne Gegner und ohne Kampf
Der Kampf gegen die „Photoshop-isierung der Welt“ wurde nicht ausgerufen - statt sich
gegen etwas aufzulehnen und sich daran abzuarbeiten, bieten das Selbermachen von Kleidung, das darüber Bloggen und der Me Made Mittwoch eine Gelegenheit aktiv zu werden und für sich selbst etwas zu ändern. Die Einzelne, die für sich passende Kleidung erschafft, um nach außen hin das zu zeigen, was sie aussagen möchte, hat sich selbst damit gestärkt und ermächtigt. Die Einordnung in die Galerie der selbstbestimmten Selbermacherinnen im Rahmen des Me Made Mittwochs gibt die Bestätigung, nicht alleine damit zu sein.
Diese Galerie mit Bildern „echter Frauen“, die ihren eigenen Kopf und Stil haben, verändert aber noch mehr. Wer Woche für Woche Zeit damit zubringt, „echte Menschen“ anzuschauen, schwächt damit die tief verwurzelte aber unbewusst verankerte Überzeugung, dass eine normale Frau aussehen muss, wie die ge-fotoshopten Kunstgeschöpfe in den Medien. Das scheinbar „Normale“ wird ersetzt durch das wirkliche Leben, das durch die Vielfalt der Erscheinungsmöglichkeiten einen neuen Entscheidungsraum bietet. Frauen übernehmen damit selbst die Deutungshoheit über ihr eigenes Bild.
Eine Bewegung?
Wir als Me Made Mittwoch-Crew, die den MMM organisiert, sehen hinter der Freude der Einzelnen, über das, was sie durch die Teilnahme am MMM an Wertschätzung, Wissen und Ideen erhält hinaus, einen Trend, eine Veränderung, die mit dem offenen Kollektiv, dem Netzwerk an Teilnehmerinnen zu tun hat. An uns selbst, aber auch an Teilnehmerinnen, die in regelmäßigen oder unregelmäßigen Abständen an der virtuellen Zusammenkunft teilnehmen, beobachten wir deutlich sichtbare Veränderungen der äußeren Erscheinung und der der Person innewohnenden Haltung. Mehr Selbstbewusstsein und mehr Bewusstsein werden durch diese Kombination aus Selbermachen und Zusammenkunft geschaffen.
Diese neue Form weiblicher Selbstorganisation im Netz ist bislang wenig zur Kenntnis genommen worden. Das möchten wir ändern, denn DIY ist nicht nur das Umhäkeln von Laternenpfählen! DIY-Blogs und die Vernetzung über Aktionen wie den Me Made Mittwoch sind das Medium und der Ausdruck einer neuen Spielart der Frauenbewegung, die über die Generationen hinweg stattfindet. Der Feminismus klassischer Prägung wird dort nur selten thematisiert, aber „Frau sein“ - in dieser Gesellschaft und der Netzöffentlichkeit leben, wirken, sie mitgestalten - spielt stets eine Rolle.